Kapitel 1
Neue Bekanntschaften
Gwendolins Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest hielt sie ihren Stab. In dessen Spitze war vor kurzem ein faustgroßer Edelstein, ein orangefarbener Citrin, eingefasst worden. Dies war ein großer Schritt in der Ausbildung eines Magiers und sprach für das Vertrauen eines Meisters in seinen Schüler. Meister Buchwebers Vertrauen in Gwendolins Kräfte hatte sie hierher nach Mühlfeld gebracht.
Vom Inneren der Taverne vor ihr drang lautes Gegröle heraus. Die junge Akolythin strich eine rote Haarsträhne hinter ihr Ohr und atmete tief ein.
Nach fünf Jahren Ausbildung hatte Meister Buchweber sie endlich mit einem Auftrag in die Welt hinausgeschickt. Fünf Jahre war die Akademie ihre einzige Umgebung gewesen, um zu lernen. Schwertkampf, den Äther spüren, magische Energien bündeln, magische Energien verstärken, Schlachtstrategien entwerfen und jede Menge Bücher wälzen. Umgeben von denselben Menschen, die dasselbe durchmachten.
Und Feuermagier waren nicht gerade für ihre ruhige, gelassene Art bekannt.
Gwendolin hatte sich darauf gefreut den Turm, wie die Akademie von den Studenten genannt wurde, wieder einmal zu verlassen. Diesmal war es jedoch nicht nur ein kurzer Besuch bei der Familie, so wie damals bei Minervas Hochzeit. Diesmal war es ein offizieller Auftrag.
Erneut drang betrunkenes Lachen aus dem Gebäude vor ihr. Es war die einzige Taverne im Dorf. Selbst das hölzerne Schild, das über der Tür hing, war schon zu verblasst, um den Namen darauf lesen zu können. Wahrscheinlich konnten die meisten Leute hier sowieso nicht lesen, mutmaßte Gwendolin. Da wurde die Tür aufgestoßen und ein Mann in dreckiger Kleidung kam heraus. Er übergab sich neben dem Eingang, bevor er die Straße hinabwankte. Gwendolin unterdrückte ihren Würgereflex.
Nichts in ihrem bisherigen Leben hatte sie auf diesen Moment vorbereiten können. Sie konnte flammende Geschoße verschießen, ein Flammenschwert beschwören und eine sengende Barriere um sich aufbauen. Doch all das würde ihr hier, in diesem kleinen Wirtshaus, nicht weiterhelfen.
Wobei … ihr fiel ein Zauber ein, dessen Nutzen sie bis jetzt nie verstanden hatte. Der Glanz der Flamme. Damit verstärkte sie ihre Wirkung auf andere, so dass sie noch beeindruckender, charmanter oder bedrohlicher wirkte, je nachdem wie ihr Gegenüber sie wahrnahm. An einem Ort, wo jeder diesen Zauber beherrschte, war er eher nutzlos. Aber hier konnte er durchaus sinnvoll sein. Zumindest hoffte sie damit ihre Unsicherheit überdecken zu können.
Sie berührte den Citrin an ihrem Stab und ließ die wohlige Wärme des Äthers durch ihren Körper fließen, bevor sie angespannt die Tür öffnete. Als ihr der abgestandene Geruch von zu vielen ungewaschenen Menschen in einem Raum entgegenschlug, rümpfte sie die Nase. Die Stunde war schon fortgeschritten, wie auch der Alkoholspiegel der Männer. Ja, es fiel ihr auf, dass nur wenige Frauen hier waren. Und die die hier waren, schienen sich äußerst gut mit den Männern zu verstehen. Ein reizendes Kaff, in das ihr Meister sie geschickt hatte.
Konzentriert auf ihren Stärkungszauber schritt sie zum Tresen, wo sie sogleich vom Wirt angeglotzt wurde. Sie fragte sich wie so oft, ob er den rot-orangenen Schimmer ihres Zaubers wahrnehmen konnte, der sie umhüllte wie eine zweite Haut.
„Ich suche nach Herrn Willfried vom Sonnberganwesen. Er erwartet mich“, sagte sie tapfer und vielleicht ein wenig zu laut.
Der Wirt mit der knolligen roten Nase musterte sie: „Und wen erwartet er?“
Gwendolin wies auf die Brosche an ihrem Kragen: „Fräulein von Goldbach vom Feuerorden.“
Der Wirt nickte und schickte ein junges Mädchen in die obere Etage.
„Hallo, holde Maid“, hörte Gwendolin eine Stimme neben sich lallen. Langsam wandte sie den Kopf, ließ ihre Augen feurig aufleuchten und zischte: „Niemand nennt mich holde Maid!“
Das war schroffer, als sie beabsichtigt hatte, aber in dieser Umgebung waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt.
Der Mann mit den strähnigen, platinblonden Haaren blinzelte zweimal, drehte sich um und wankte zu einem Tisch zurück. Erst jetzt fiel Gwendolin auf, dass er einen Lederwams trug. Er setzte sich neben einen anderen Mann in eisernen Harnisch. Auf dem Tisch lagen Schwerter.
Söldner oder Soldaten also.
Männer wie diese lagen in ihrer Zukunft. Gwendolin unterdrückte ein Seufzen. Sie vermisste die Ruhe des Magierturms nun doch mehr, als sie sich eingestehen wollte.
Zum Glück wagte nicht noch einer diese betrunkenen Trottel einen Annäherungsversuch.
„Gnädiges Fräulein, Ihr werdet erwartet“, erschrak die Stimme des Wirts sie. Gwendolin wurde die Treppe hinaufgeführt und der Lärm verklang ein wenig. Der Wirt zeigte auf eine Tür und ging wortlos wieder hinab.
Die Akolythin streifte ihre rostrote, knielange Robe glatt. Als Nächstes richtete sie ihre Brosche zurecht, die sie als Magierin des Feuerordens auswies. Außerdem löste sie den einfachen Zopf, den sie auf ihrer Reise getragen hatte und kämmte mit ihren Fingern noch einmal nervös durch die roten Haare, die ihr bis knapp zu den Schulterblättern reichten. Sie klopfte und wurde sofort hereingebeten.
Der Raum bot einen erstaunlich angenehmen Anblick. Ein schmales Bett sowie ein Schreibtisch und zwei Stühle wurden von einem kleinen Kaminfeuer beleuchtet. Ein älterer, hagerer Mann blickte von seinen Schreibarbeiten hoch und stand sofort auf.
„Ah Fräulein von Goldbach, nehme ich an. Willfried mein Name, Kammerdiener des Grafen von Sonnenberg“, stellte er sich vor und verbeugte sich. Diese bekannten Manieren zauberten Gwendolin ein Lächeln auf ihr Gesicht und sie deutete einen Knicks an.
„Setzt Euch doch, werte Dame. Ein Gläschen Wein? Nicht von besonders guter Qualität, das muss ich leider sagen, aber man gewöhnt sich daran.“
Gwendolin lehnte dankend ab und setzte sich. Magiern war es zwar nicht verboten, Alkohol zu trinken, aber es war ratsam, stets die absolute Kontrolle über den eigenen Geist zu bewahren. Vor allem bei so jungen Magiern, wie sie eine war. Zu viele Gebäude waren schon Opfer von magischen Kontrollverlusten geworden. Außerdem war Gwendolin gerade viel zu aufgeregt, um auch nur an Essen oder Trinken zu denken.
Sie versuchte, die Nervosität aus ihrer Stimme herauszuhalten: „Meister Buchweber schickt seine Grüße. Er entsendet mich, um eurem Herrn Unterstützung anzubieten.“
Willfried hatte sich wieder gesetzt und einen Schluck aus seinem Glas genommen, das er jedoch mit verzogenem Mundwinkel gleich wieder hinstellte.
„Der Graf von Sonnenberg ist dankbar für jede Hilfe. Meister Buchweber muss Großes von Euch halten, wenn er Euch diesen Auftrag anvertraut.“
Bis jetzt hatte Gwendolin den Auftrag nicht besonders ernst genommen. Ein alter Freund ihres Meisters brauchte Hilfe, da seine Dienerschaft sich „eigenartig“ verhielt. Sie wusste, dass die ersten Aufträge meistens kaum bessere Botengänge waren. Die Worte des Kammerdieners schmeichelten ihr dennoch.
Bevor sie zu einer Antwort ansetzen konnte, flog die Tür auf. Gwendolin sprang auf und sammelte ihre Energien. Ein Mann hielt sich am Türrahmen fest und blinzelte in den Raum hinein. Als sie ihn erkannte, entspannte sie sich ein wenig. Es war der hellhaarige Kerl, der es gewagt hatte, sie im Schankraum anzusprechen. Willfried war ebenfalls aufgestanden und verlangte zu wissen, was die Störung sollte.
Eine weitere Stimme ertönte von der Tür: „Verzeiht, dieser effektvolle Auftritt war nicht unsere Absicht“. Die Stimme gehörte zu einem Mann, wohl Ende dreißig, der gerade in der Tür auftauchte.
Gwendolin erkannte anhand seiner Kleidung, dass er durchaus Geld besaß, aber damit nicht angeben wollte. Sein Äußeres wirkte gepflegt, das Kinn glattrasiert und seine braunen Haare sorgsam zurückgekämmt.
„Ich habe diese zwei Herren“, damit wies er auf den Mann, der sich gerade ein Stück Gemüse aus den Zähnen zog, und seinen Kameraden, der nun neben ihm erschien, „unten getroffen.“ Er richtete seinen Blick auf den Kammerdiener und sprach weiter: „Sie könnten durchaus brauchbar sein. Sie waren immerhin Soldaten.“
Willfried setzte sich seufzend. „Welche Qualifikationen bringt ihr mit euch?“
„Ich bin Sibrand, das ist Konstantin“, sprach der hellhaarige Mann ein wenig zu laut, „Wir sind stark und können anpacken.“
„Charmant“, dachte sich Gwendolin und blickte zwischen Kammerdiener und Tür hin und her. Er würde doch wohl kaum solch dahergelaufene Trunkenbolde aufnehmen?
Zu Gwendolins Überraschung wandte sich Willfried an den ältesten der drei Männer: „Euronimus war Euer Name, nicht wahr? Gut, wenn Ihr es schafft, die beiden bis morgen Früh auszunüchtern, dann sollen sie uns wohl begleiten. Und nun habe ich noch etwas mit meinem Gast zu besprechen.“
Euronimus nickte Willfried und Gwendolin zu und deutete den beiden ehemaligen Soldaten mit einer Kopfbewegung an, zu gehen. Konstantin verbeugte sich knapp und zog seinen Kameraden Sibrand mit.
Willfried sah den Männern einige Sekunden lang nach und seufzte erneut. „Ich kann es nicht glauben, dass wir auf so jemanden zurückgreifen müssen. Zuerst sollte ich Euch wohl von unserer misslichen Lage erzählen.“
Gwendolin nickte höflich. Sie konnte den Kammerdiener verstehen. Die beiden hatten keinen zuverlässigen Eindruck gemacht.
„Ich hoffe, dass Ihr mich morgen ebenfalls ins Anwesen begleiten werdet!“, bat Willfried. Sein Tonfall erinnerte Gwendolin an ihre Mutter, wenn sie eine „Bitte“ aussprach. Sogleich spürte die Jungmagierin, wie der Wunsch nach Rebellion in ihr aufkam. Doch dies war der erste Auftrag ihres Meisters, sie würde alles tun, um ihm zu entsprechen.
Der Kammerdiener erklärte weiter: „Offiziell werdet ihr angestellt, um die Truppen gegen die ständig angreifenden Bestien zu unterstützen. Inoffiziell jedoch sollt ihr die Dienerschaft genau beobachten. Etwas Seltsames geht im Anwesen vor sich und ihr sollt herausfinden, was. Mein Herr vermutet eine Revolte. Ich denke … nun ich kann es nicht in Worten ausdrücken. Ihr müsst es Euch selbst ansehen.“
„Ich werde Augen und Ohren offenhalten!“
Der Kammerdiener nickte und unterdrückte ein Gähnen.
„Wenn dies alles ist, dann werde ich mir nun ein Zimmer geben lassen“, meinte Gwendolin höflich und die beiden verabschiedeten sich.
Die Jungmagierin trat in den Schankraum hinunter und ihr Blick fiel auf Euronimus, Konstantin und Sibrand, die an einem Tisch saßen und Bier tranken. Die beiden Soldaten hatten sich ihrer Rüstungen entledigt. Gwendolin rümpfte die Nase ob der zerschlissenen Kleidung, die Sibrand zur Schau trug. Konstantins Hemd war wenigstens geflickt.
Sie erinnerte sich an den Abscheu ihrer Mutter, dass sie unter einfachen Soldaten leben würde. Diese Truppe hier war noch schlimmer. Sie konnte sich den abschätzigen, angewiderten Blick ihrer Mutter sehr gut vorstellen. Gwendolin lächelte, als sie ihre Pläne für den Abend änderte.